Ernst Jünger:
Macht
Ernst Jünger war deutscher Schriftsteller und Publizist.
Entdecken Sie interessante Zitate über macht.
Ernst Jünger:
558
Zitate
111
Gefällt mir
„In den Eingangssätzen des »Willens zur Macht“ bezeichnet Nietzsche sich als »den ersten vollkommenen Nihilisten Europas, der aber den Nihilismus selbst schon in sich zu Ende gelebt hat, - der ihn hinter sich, unter sich, außer sich hat«. Gleich darauf folgt die Bemerkung, daß sich in seiner Arbeit bereits eine Gegenbewegung ankünde, welche »in irgendeiner Zukunft« jenen vollkommenen Nihilismus ablösen werde, wenngleich sie ihn als notwendig voraussetze. Obwohl seit der Konzeption dieser Gedanken mehr als sechzig Jahre verflossen sind, wirken sie noch immer erregend auf uns, als Sätze, die sich mit unserem Schicksal beschäftigen. Sie füllten sich inzwischen mit Inhalt, mit gelebtem Leben, mit Taten und Schmerzen an. Das geistige Abenteuer bestätigte und wiederholte sich in der Wirklichkeit. Wenn wir von unserem erreichten Standort auf jene Aussage zurückblicken, scheint sich ein Optimismus in ihr auszudrücken, der späteren Betrachtern fehlt. Der Nihilismus wird also nicht als Ende angesehen, sondern vielmehr als Phase eines ihn umfassenden geistigen Vorganges, wie sie nicht nur die Kultur in ihrem geschichtlichen Verlaufe, sondern auch der Einzelne in seiner persönlichen Existenz in sich zu überwinden und auszutragen oder vielleicht auch wie eine Narbe zu überwachsen vermag.“
„Hier wäre nochmals die Frage zu streifen, inwieweit es sich um Erscheinungender Spätzeit handelt, um weltstädtische Kennzeichen. Der Untergang des römischen Reiches hat ja von jeher als Schulbeispiel gedient. Es gibt allerdings eine Reihe von Merkmalen, die übereinstimmen: Cäsarismus, Bedrohung des Bauernstandes, Latifundienwirtschaft, Sittenverfall, wachsende Konzentration und Unwiderruflichkeit der großen Entscheidungen, hellenistische Kunstwerke und technische Großbauten; das sind Gesichtspunkte. Verändert sich jedoch der Standort des Beobachters um ein Geringes, so eröffnen sich Perspektiven, die durchaus nicht in Spenglers System passen. Hier tauchen nicht weniger zwingende Anzeichen einer Frühzeit auf. Daß Rußland, dessen Stander dem des Reiches Karls des Großen vergleicht, auszuklammern sei, hat Spengler scharfsichtig bemerkt. Es handelt sich indessen nicht um regionale Unterschiede, sondern um das Auftreten eines neuen Typus, der die Nationen und selbst die Rassen formt. Dem entspricht auch das herrschende Welt- und Lebensgefühl, der wachsende Optimismus des Arbeiters, sein theoretisch so dürftig gestütztes Vertrauen auf seine zeitwendende Macht, das dennoch von Grund auf berechtigt istund prognostischen Wert besitzt.“
„Das mag erklären, warum die Herrschaft sich wieder fester gründet nach Zeiten, in denen die Gleichheit in aller Munde war. Sowohl Furcht wie auch Hoffnung führen den Menschen darauf zu. Er ist mit einem unausrottbaren monarchischen Instinkt behaftet, auch dort, wo er die Könige nur noch aus dem Panoptikum kennt. Es bleibt erstaunlich, wie aufmerksam und willig er immer wieder dort ist, wo ein neuer Führungsanspruch erhoben wird, gleichviel woher oder von wem. Wird irgendwo die Macht ergriffen, so knüpfen sich immer, selbst bei den Gegnern, große Hoffnungen daran. Man kann auch nicht sagen, daß der Regierte untreu wird. Aber er hat ein feines Gefühl dafür, ob der Mächtige sich selbst treu bleibt und ob er die Rolle durchhält, die er sich zuteilte. Trotzdem verlieren die Völker nie die Hoffnung auf einen neuen Dietrich, einen neuen Augustus — auf einen Fürsten, dessen Auftrag sich durch eine Konstellation am Himmel ankündet. Sie ahnen, daß der Mythos als Goldhort dicht unter der Geschichte ruht, dicht unter dem vermessenen Grund der Zeit.“
„Der Mensch, der keine Zeit hat – und das ist eines unserer Kennzeichen – kann schwerlich Glück haben. Notwendig verschließen sich ihm große Quellen und Mächte wie die der Muße, des Glaubens, der Schönheit in Kunst und Natur. Damit entgeht ihm die Krönung, der Segen der Arbeit, der in Nicht-Arbeit, und die Ergänzung, der Sinn des Wissens, der im Nicht-Wissen liegt. Das wird im Absinken dessen, was wir Kultur nennen, unmittelbar anschaulich.“
„Das wird auch in der Sprache offenbar. Die Sprache gehört zum Eigentum, zur Eigenart, zum Erbteil, zum Vaterland des Menschen, das ihm anheimfällt, ohne daß er dessen Fülle und Reichtum kennt. Die Sprache gleicht nicht nur einem Garten, an dessen Blüten und Früchten der Erbe bis in sein höchstes Alter sich erquickt; sie ist auch eine der großen Formen für alle Güter überhaupt. Wie Licht die Welt und ihre Bildung sichtbar macht, so macht die Sprache sie im Innersten begreifbar und ist nicht fortzudenken als Schlüssel zu ihren Schätzen und Geheimnissen. Gesetz und Herrschaft in den sichtbaren und selbst den unsichtbaren Reichen fangen mit der Benennung an. Das Wort ist Stoff des Geistes und dient als solcher zu den kühnsten Brückenschlägen; es ist zugleich das höchste Machtmittel. Allen Landnahmen im Konkreten und Gedachten, allen Bauten und Heerstraßen, allen Zusammenstößen und Verträgen gehen Offenbarungen, Planungen und Beschwörungen im Wort und in der Sprache und geht das Gedicht voran. ja man kann sagen, daß es zwei Arten der Geschichte gibt, die eine in der Welt der Dinge, die andere in der der Sprache; und diese zweite umschließt nicht nur den höheren Einblick, sondern auch die wirkendere Kraft. Selbst das Gemeine muß sich immer wieder an dieser Kraft beleben, auch wenn es in die Gewalttat stürzt. Aber die Leiden vergehen und verklären sich im Gedicht.“
„Demgegenüber ist es wichtig, zu wissen, daß jeder Mensch unsterblich und daß ein ewiges Leben in ihm ist, unerforschtes und doch bewohntes Land, das er selbst leugnen mag, doch das keine zeitliche Macht ihm rauben kann. Der Zugang bei vielen, ja bei den meisten mag einem Brunnen gleichen, in welchen seit Jahrhunderten Trümmer und Schutt geworfen sind. Räumt man sie fort, so findet man am Grunde nicht nur die Quelle, sondern auch die alten Bilder vor. Der Reichtum des Menschen ist unendlich größer, als er ahnt. Es ist ein Reichtum, den niemand rauben kann und der im Lauf der Zeiten auch immer wieder sichtbar anflutet, vor allem, wenn der Schmerz die Tiefen aufgegraben hat.“
„Dem Unbefangenen mag zugleich sichtbar werden, daß sich im Besitz auch eine ruhende, wohltätige Macht verbirgt, und zwar nicht nur für den Besitzenden. Die Eigenart des Menschen ist ja nicht nur schaffend, sie ist auch zerstörend, ist sein Daimonion. Wenn die zahlreichen kleinen Grenzen fallen, die sie beschränken, richtet sie sich wie der entfesselte Gulliver im Lande der Zwerge empor. Der also konsumierte Besitz verwandelt sich in unmittelbare, in funktionale Gewalt. Man sieht dann die neuen Titanen, die Übermächtigen. Auch dieses Schauspiel hat seine Grenzen, hat seine Zeit. Es bildet keine Dynastie.“
„Die eigene Art zu wahren ist schwierig — und um so schwieriger, je mehr man mit Gütern belastet ist. Hier droht das Schicksal jener Spanier unter Cortez, die in der »traurigen Nacht« die Last des Goldes, von dem sie sich nicht trennen wollten, zu Boden zog. Dafür ist auch der Reichtum, der zur eigenen Art gehört, nicht nur unvergleichlich wertvoller, er ist die Quelle jedes sichtbaren Reichtums überhaupt. Wer das erkannt hat, wird auch begreifen, daß Zeiten, die auf die Gleichheit aller Menschen hinarbeiten, ganz andere Früchte als die erhofften zeitigen. Sie nehmen nur die Zäune, die Gitter, die sekundäre Verteilung fort und schaffen gerade dadurch Raum. Die Menschen sind Brüder, aber sie sind nicht gleich. In diesen Massen verbergen sich immer Einzelne, die von Natur aus, das heißt in ihrem Sein, reich, vornehm, gütig, glücklich oder mächtig sind. Auf sie strömt Fülle zu im gleichen Maße, in dem die Wüste wächst. Das führt zu neuen Mächten und zu neuem Reichtum, zu neuen Teilungen.“