Ernst Jünger:
Zitate über die Welt
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Ernst Jünger war deutscher Schriftsteller und Publizist.
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„Der Techniker rechnet mit einzelnen Vorteilen. In der großen Buchführung sieht das oft anders aus. Liegt in der Welt der Versicherungen, der Impfungen, der peinlichen Hygiene, des hohen Durchschnittsalters ein wirklicher Gewinn? Es lohnt sich nicht, darüber zu streiten, weil sie sich weiter ausbilden wird und weil sich die Ideen, auf denen sie beruht, noch nicht erschöpft haben. Das Schiff wird seine Fahrt fortsetzen, auch über die Katastrophen hinweg. Die Katastrophen bringen freilich gewaltige Ausmerzungen. Wenn ein Schiff untergeht, versinkt auch die Apotheke mit. Es kommt da auf andere Dinge an, wie etwa darauf, daß man einige Stunden im Eiswasser übersteht. Die vielfach geimpfte, keimfreie, an Medikamente gewöhnte Besatzung von hohem Durchschnittsalter hat da geringere Aussicht als jene andere, die das alles nicht kennt. Eine minimale Sterblichkeit in ruhigen Zeiten gibt keinen Maßstab für die wahre Gesundheit; sie kann über Nacht in ihr Gegenteil umschlagen. Es ist sogar möglich, daß sie noch unbekannte Seuchen erzeugt. Das Gewebe der Völker wird anfällig.“
„Unter den Menschen ist Sokrates zu nennen, dessen Vorbild nicht nur die Stoa, sondern kühne Geister zu allen Zeiten befruchtete. Wir mögen über Leben und Lehre dieses Mannes verschiedener Ansicht sein; sein Tod zählt zu den größten Ereignissen. Die Welt ist so beschaffen, daß immer wieder das Vorurteil, die Leidenschaften Blut fordern werden, und man muß wissen, daß sich das niemals ändern wird. Wohl wechseln die Argumente, doch ewig unterhält die Dummheit ihr Tribunal. Man wird hinausgeführt, weil man die Götter verachtete, dann weil man ein Dogma nicht anerkannte, dann wieder, weil man gegen eine Theorie verstieß. Es gibt kein großes Wort und keinen edlen Gedanken, in dessen Namen nicht schon Blut vergossen worden ist. Sokratisch ist das Wissen von der Ungültigkeit des Urteils, und zwar von der Ungültigkeit in einem erhabeneren Sinne, als menschliches Für und Wider ihn ermitteln kann. Das wahre Urteil ist von Anbeginn gesprochen: es ist auf die Erhöhung des Opfers angelegt. Wenn daher moderne Griechen eine Revision des Spruches anstreben, so wären damit nur die unnützen Randbemerkungen zur Weltgeschichte um eine weitere vermehrt, und das in einer Zeit, in der unschuldiges Blut in Strömen fließt. Dieser Prozeß ist ewig, und die Banausen, die in ihm als Richter saßen, trifft man auch heute an jeder Straßenecke, in jedem Parlament. Daß man das ändern könne: dieser Gedanke zeichnete von jeher die flachen Köpfe aus. Menschliche Größe muß immer wieder erkämpft werden. Sie siegt, indem sie den Angriff des Gemeinen in der eigenen Brust bezwingt. Hier ruht die wahre historische Substanz, in der Begegnung des Menschen mit sich selbst, das heißt: mit seiner göttlichen Macht. Das muß man wissen, wenn man Geschichte lehren will. Sokrates nannte diesen tiefsten Ort, an dem ihn eine Stimme, schon nicht mehr in Worten faßbar, beriet und lenkte, sein Daimonion. Man könnte ihn auch den Wald nennen.“
„Jede wirkliche Führung bezieht sich auf diese Wahrheit: sie weiß den Menschen an einen Punkt zu bringen, an dem er die Wirklichkeit erkennt. Das wird vor allem deutlich, wenn Lehre und Beispiel sich vereinen - wenn der Bezwinger der Furcht das Todesreich betritt, wie man es an Christus als höchstem Stifter sieht. Das Weizenkorn, indem es starb, hat nicht nur tausendfältig, es hat unendlich Frucht gebracht. Hier wurde der Überfluß der Welt berührt, auf den sich jede Zeugung als zugleich zeitliches und zeitbezwingendes Symbol bezieht. Dem folgten nicht nur die Märtyrer, die stärker waren als die Stoa, stärker als die Cäsaren, stärker als jene Hunderttausend, die sie in die Arena einschlossen. Dem folgten auch die Ungezählten, die in der Zuversicht gestorben sind. Das wirkt noch heute weit zwingender, als es der erste Blick erkennt. Auch wenn die Dome stürzen, bleibt ein Wissen, ein Erbteil in den Herzen und unterhöhlt wie Katakomben die Paläste der Zwingherrschaft. Aus diesem Grunde schon darf man gewiß sein, daß die reine und nach antiken Vorbildern geübte Gewalt nicht auf die Dauer triumphieren kann. Es wurde mit diesem Blute Substanz in die Geschichte eingeführt, und daher zählen wir immer noch mit Recht von diesem Datum ab als von der Zeitwende. Hier herrscht die volle Fruchtbarkeit der Theogonien, mythische Zeugungskraft. Das Opfer wird auf zahllosen Altären wiederholt.“
„Damit kehren wir zum Thema zurück. Menschliche Furcht zu allen Zeiten, in allen Räumen, in jedem Herzen ist ein und dieselbe, ist Furcht vor der Vernichtung, ist Todesfurcht. Das hören wir bereits von Gilgamesch, wir hören es im 90. Psalm, und dabei ist es geblieben bis in unsere, heutige Zeit. Die Überwindung der Todesfurcht ist also zugleich die Überwindung jedes anderen Schreckens; sie alle haben nur Bedeutung hinsichtlich dieser Grundfrage. Der Waldgang ist daher in erster Linie Todesgang. Er führt hart an den Tod heran - ja, wenn es sein muß, durch ihn hindurch. Der Wald als Lebenshort erschließt sich in seiner überwirklichen Fülle, wenn die Überschreitung der Linie gelungen ist. Hier ruht der Überfluß der Welt.“
„Bedeutend ist nun an unserem Zustand, daß wir nicht völlig im Dumpfen dahinleben. Wir steigen nicht nur zu Punkten großen Selbstbewußtseins auf, sondern auch zu strenger Selbstkritik. Das ist ein Zeichen hoher Kulturen; sie wölbenBögen über die Traumwelt auf. Wir kommen im Bewußtseinsstil zu Einsichten, wie sie dem indischen Bilde vom Schleier der Maja entsprechen oder der ewigen Weltzeitfolge, die Zarathustra lehrt. Die indische Weisheit rechnet selbst den Aufstieg und das Versinken von Götterreichen der Welt des Augentruges zu - dem Schaum der Zeit. Wenn Zimmer behauptet, daß uns diese Größe des Aspektes fehle, so kann man ihm darin nicht beistimmen. Nur fassen wir ihn im Bewußtseinsstil, durch den alles zermalmenden Vorgang der Erkenntniskritik. Hier schimmern die Grenzen von Zeit und Raum. Der gleiche Vorgang, vielleicht noch dichter und folgenschwerer, wiederholt sich heute in der Wendung von der Erkenntnis auf das Sein. Dazu kommt der Triumph der zyklischen Auffassung in der Geschichtsphilosophie. Freilich muß die Kenntnis der historia in nuce sie ergänzen: das Thema, das in unendlicher Verschiedenheit von Zeit und Raum sich abwandelt, ist ein und dasselbe, und in diesem Sinne gibt es nicht nur Geschichte der Kulturen, sondern Menschheitsgeschichte, welche eben Geschichte in der Substanz, im Nußkern, Geschichte des Menschen ist. Sie wiederholt sich in jedem Lebenslauf.“
„Die Furcht nimmt immer die Maske, den Stil der Zeiten an. Das Dunkel der Weltraumhöhle, die Visionen der Eremiten, die Ausgeburten der Bosch und Cranach, die Hexen- und Dämonenschwärme des Mittelalters sind Glieder der ewigen Kette der Angst, an die der Mensch wie Prometheus an den Kaukasus geschmiedet ist. Von welchen Götterhimmeln er sich auch befreien möge — die Furcht begleitet ihn mit großer List. Und immer erscheint sie ihm in höchster, lähmender Wirklichkeit. Wenn er in strenge Erkenntniswelten eintritt, wird er den Geist verlachen, der sich mit gotischen Schemen und Höllenbildern ängstigte. Er ahnt kaum, daß er in den gleichen Fesseln gefangen liegt. Ihn freilich prüfen die Phantome im Erkenntnisstil, als Fakten der Wissenschaft. Der alte Wald mag nun zum Forst geworden sein, zur ökonomischen Kultur. Doch immer noch ist in ihm das verirrte Kind. Nun ist die Welt der Schauplatz von Mikrobenheeren; die Apokalypse droht wie je zuvor, wenngleich durch Machenschaften der Physik (nicht nur der Physik! HB). Der alte Wahn blüht in Psychosen, Neurosen fort. Und auch den Menschenfresser wird man in durchsichtiger Verkleidung wiederfinden — nicht nur als Ausbeuter und Treiber in den Knochenmühlen der Zeit. Er mag vielmehr als Serologe inmitten seiner Instrumente und Retorten darüber sinnen, wie man die menschliche Milz, das menschliche Brustbein zum Ausgangsstoff für wunderbare Medizinen nimmt. Da sind wir mitten im alten Dahomey, im alten Mexiko.“
„In diesem Lichte ist der Wald das große Todeshaus, der Sitz vernichtender Gefahr. Es ist die Aufgabe des Seelenführers, den von ihm Geführten an der Hand dorthin zu leiten, damit er die Furcht verliert. Er läßt ihn symbolisch sterben und auferstehen. Hart an der Vernichtung liegt der Triumph. Aus diesem Wissen ergibt sich die Erhöhung über die zeitliche Gewalt. Der Mensch erfährt, daß sie ihm im Grunde nichts anhaben kann, ja nur dazu bestimmt ist, ihn im höchsten Range zu bestätigen. Das Schreckensarsenal, bereit, ihn zu verschlingen, ist um den Menschen aufgestellt. Das ist kein neues Bild. Die »neuen« Welten sind immer nur Abzüge ein und derselben Welt. Sie war den Gnostikern bekannt, den Einsiedlern der Wüste, den Vätern und wahren Theologen seit Anbeginn. Sie kannten das Wort, das die Erscheinung fällen kann. Die Todesschlange wird zum Stab, zum Szepter dem Wissenden, der sie ergreift.“
„Furcht und Gefährdung stehen in so enger Verknüpfung, daß sich kaum sagen läßt, welche der beiden Mächte die andere erzeugt. Die Furcht ist wichtiger, daher muß man bei ihr beginnen, wenn man den Knoten lösen will. Vor dem Gegenteil aber, das heißt: vor dem Versuch, von der Gefährdung aus zu beginnen, muß gewarnt werden. Indem man versucht, sich schlechthin gefährlicher zu machen als der Gefürchtete, führt man die Lösung nicht herbei. Das ist das klassische Verhältnis zwischen Roten und Weißen, zwischen Roten und Roten und morgen vielleicht zwischen Weißen und Farbigen. Der Schrecken gleicht einem Feuer, das die Welt verzehren will. Zugleich vervielfacht sich die Furcht. Als zur Herrschaft berufen legitimiert sich jener, der dem Schrecken ein Ende setzt. Das ist derselbe, der zuvor die Furcht bezwungen hat.“
„Das Mißtrauen wächst mit der Zustimmung. Je näher der Anteil der guten Stimmen den hundert Prozent kommt, desto größer wird die Zahl der Verdächtigen, denn es ist anzunehmen, daß nun die Träger des Widerstandes aus einer statistisch faßbaren Ordnung hinüberwechselten in jene unsichtbare, die wir als den Waldgang ansprechen. Nunmehr muß jeder überwacht werden. Die Ausspähung schiebt ihre Organe in jeden Block, in jedes Wohnhaus vor. Sie sucht selbst in die Familien einzudringen und erreicht ihre letzten Triumphe in den Selbstbezichtigungen der großen Schauprozesse: hier sehen wir das Individuum als seinen eigenen Polizisten auftreten und an seiner Vernichtung mitwirken. Es ist nichtmehr, wie in der liberalen Welt, unteilbar, sondern durch den Staat in zwei Hälften zerlegt, in eine schuldige und eine andere, die sich anschuldigt.“
„Im Waldgang betrachten wir die Freiheit des Einzelnen in dieser Welt. Dazu ist auch die Schwierigkeit, ja das Verdienst zu schildern, das darin liegt, in dieser Welt ein Einzelner zu sein. Daß sie sich, und zwar notwendig, verändert hat und noch verändert, wird nicht bestritten, doch damit verändert sich auch die Freiheit, zwar nicht in ihrem Wesen, wohl aber in der Form. Wir leben im Zeitalter des Arbeiters; die These wird inzwischen deutlicher geworden sein. Der Waldgang schafft innerhalb dieser Ordnung die Bewegung, die sie von den zoologischen Gebilden trennt. Er ist weder ein liberaler noch ein romantischer Akt, sondern der Spielraum kleiner Eliten, die sowohl wissen, was die Zeit verlangt, als auchnoch etwas mehr.“
„Schon oft wird in der Menschengeschichte, sei es an Einzelnen, sei es an kleineren oder größeren Einheiten, der Sturz der unsterblichen Hierarchien mit seinen Folgen. sichtbar geworden sein. Immer standen dann mächtige Reserven zur Verfügung, sei es in der elementaren oder auch in der gebildeten Welt. Es gab noch wilden Grund in Fülle, und ganze Kulturen blieben unberührt. Heute ergreift der Schwund, der ja nicht lediglich Schwund ist, sondern zugleich Beschleunigung, Vereinfachung, Potenzierung und Trieb zu unbekannten Zielen, die ganze Welt.“
„Dem Unterschiede der angewandten Mittel entspricht der Unterschied in der Einrichtung und Besitzergreifung der eroberten Welt. Für den Bürger vollzieht sich dieser Vorgang in der geistigen Konstruktion von Verfassungen, in denen dieselbe Vernunft, die die alte Gesellschaft zerstörte, als Fundament und Grundmaß einer neuen erscheint. Für den Arbeiter stellt sich die entsprechende Aufgabe dar als die organische Konstruktion der in eine uferlose Bewegung geratenen Massen und Energien, die der Zersetzungsprozeß der bürgerlichen Gesellschaft hinterlassen hat. Der Rahmen, in den die Freiheit des Handelns eingeschlossen wird, ist hier nicht mehr die bürgerliche Verfassung, sondern der Arbeitsplan. Wie der Bürger zunächst den absoluten Staat als Feld der Tätigkeit vorfindet, so vollziehen sich die ersten Bewegungen des Arbeiters innerhalb der Grenzen der nationalen Demokratie, deren Mittel den beiden Trägern der bürgerlichen Gesellschaft, also dem Individuum und der Masse, zu entwinden sind.“