„Woher glaubst Du, daß uns ein fester Halt werden könnte in solchen Zeiten des Zerfalls des Inneren?” fragte ich Klara.
„Jedenfalls nicht aus Welten, von denen wir nichts wissen noch kennen können, das siehst Du nun an dieser verarmten Marie. Von jenen überirdischen Tröstungen weiß sie, aber sonst weiß sie nichts und besitzt nichts. Wir haben reale geistige Güter, an denen sich die Seele erquicken kann, was uns auch treffen mag. Für solche arme, beraubte Leben möchte man bitten:…
„Klara,“ sagte ich, „ist denn nicht neben all‘ den köstlichen Quellen der Poesie und alles Wissens auch die Herrlichkeit dieser Natur, die uns umgiebt, eine solche, ja eine Hauptquelle der Erquickung? Marie kennt diese, warum kann sie nicht mehr daran trinken?“
„Sie hat nie recht daran getrunken,“ meinte Klara, „ihr inneres Auge war nie geöffnet für diese Schönheit.“
„Sollte es nicht Krankheiten geben, die auch die geöffneten Augen schließen und die Aufnahme all‘ dieser Erquickungen unmöglich machen könnten, Klara?“
„Nein,“ sagte sie bestimmt; „ausgerüstet mit dem geweiteten Blicken des Gebildeten, dem alle Quellen des geistigen Lebens geöffnet sind, kann uns ein solches Kranken nicht niederwerfen. Nicht die Schutzmittel fehlen, die Kenntnis derselben fehlt, wo solches geschehen kann. Versiegt für uns eine Quelle, die uns Kräfte des Lebens zugeführt, so kennen wir tausend andere, daraus wir schöpfen können; wir müssen nicht ermatten, wie das Land, dem der einzige Bach vertrocknet, dessen Wasser es grünen gemacht.
~ Aus Früheren Tagen“

Die Werke von Johanna Spyri

Letzte Aktualisierung 2. Juli 2022. Geschichte
Johanna Spyri Foto
Johanna Spyri 1
Schweizer Schriftstellerin (1827 - 1901) 1827–1901

Ähnliche Zitate

Annette Mingels Foto

„Ja, liebe Klara: Es ist sehr, sehr gefährlich, auch nur einen Tag zu leben.“

Annette Mingels (1971) deutsche Schriftstellerin und Kultur-Journalistin

Die Liebe Der Matrosen

Arturo Pérez-Reverte Foto
Sókratés Foto
Sókratés Foto

„Denn es mag wohl eben keiner von uns beiden etwas Tüchtiges oder Sonderliches wissen; allein dieser doch meint zu wissen, da er nicht weiß, ich aber, wie ich eben nicht weiß, so meine ich es auch nicht. Ich scheine also um dieses wenige doch weiser zu sein als er, daß ich, was ich nicht weiß, auch nicht glaube zu wissen.“

Sókratés (-470–-399 v.Chr) griechischer Philosoph

Deutsch nach Schleiermacher. http://www.zeno.org/nid/20009262458
Original griech.: "κινδυνεύει μὲν γὰρ ἡμῶν οὐδέτερος οὐδὲν καλὸν κἀγαθὸν εἰδέναι, ἀλλ᾽ οὗτος μὲν οἴεταί τι εἰδέναι οὐκ εἰδώς, ἐγὼ δέ, ὥσπερ οὖν οὐκ οἶδα, οὐδὲ οἴομαι· ἔοικα γοῦν τούτου γε σμικρῷ τινι αὐτῷ τούτῳ σοφώτερος εἶναι, ὅτι ἃ μὴ οἶδα οὐδὲ οἴομαι εἰδέναι·")
Der letzte Teilsatz wird durch Verkürzung zu dem berühmten Zitat "Ich weiß nicht zu wissen." bzw. "Ich weiß, dass ich nicht weiß." ("Οἶδα οὐκ εἰδώς."

Augustinus von Hippo Foto

„Was also ist »Zeit«? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich es einem Fragenden erklären, weiß ich es nicht.“

Augustinus von Hippo (354–430) lateinischen Kirchenlehrer der Spätantike

Confessiones XI, 14
Original lat.: "Quid est ergo tempus? si nemo ex me quaerat, scio; si quaerenti explicare velim, nescio."

Dorothy Parker Foto
Johann Wolfgang von Goethe Foto

„[Z]war weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen.“

Faust I, Vers 601 / Wagner → Zitat im Textumfeld
Dramen, Faust. Eine Tragödie (1808)

Jacques Lacan Foto
Diese Übersetzung wartet auf eine Überprüfung. Ist es korrekt?
Carl Gustav Jung Foto
Rainer Maria Rilke Foto

„Ich möchte mit denen zusammen sein, die geheime Dinge wissen oder sonst alleine.“

Rainer Maria Rilke (1875–1926) österreichischer Lyriker, Erzähler, Übersetzer und Romancier

Ähnliche Themen