„Wenn Spengler in der Einleitung zu seinem Hauptwerk sagt: »Das Mittel, lebendige Formen zu erkennen, ist die Analogie«, so rührt er damit das Wesen der physiognomischen Methodik an. Durch den Analogieschluß läßt sich in der Tat viel erreichen, unter anderem die Erfassung und Ordnung historischer Figuren unter der bloßen Oberflächenähnlichkeit der zeitlichen Gewänder und ferner die Einsicht in noch bevorstehende Abläufe aus der Kenntnis der Periodizität heraus: als Voraussage. Hier gewinnt der physiognomische Instinkt des Hinzutretenden prophetische Kraft.“ Ernst Jünger (1895–1998) deutscher Schriftsteller und Publizist
„Die Revolutionen künden sich in den Sternen an. Das war längst so, ehe Menschen die Erde bewohnt haben. Dort sind die Maßstäbe zur Einteilung der Weltzeit, vom flüchtigen Augenblick bis zu den Lichtjahren. Daher deuten sich die tiefsten Veränderungen der menschlichen Ordnung in der Sternkunde an. Der Blick auf den gestirnten Himmel wirft die erste, die unsichtbare Bahn. Dem folgen die Erscheinungen. Die Moderne beginnt und endet mit der kopernikanischen Revolution. Jeder neue Blick auf das All hat einen metaphysischen Hintergrund. Das All und das Auge verändern sich gleichzeitig. Das gilt auch nach der Erfindung der Fernrohre und innerhalb komplizierter Berechnungen. In die Erfassung großer Zeitalter teilen sich heute Geschichte und Naturgeschichte, ohne uns zu befriedigen, obwohl ihnen nicht nur eine Fülle neuen Materials, sondern auch neuer Meßgeräte und Uhren zur Verfügung steht. Die Einteilung läßt sich auf eine Gerade oder auf einen Kreis abtragen, je nachdem, ob ein lineares oder ein zyklisches System angenommen wird. Eine Verbindung von beiden gibt die Spirale, in der die Entwicklung sich sowohl fortbewegt als auch wiederkehrt, wenngleich auf verschiedenen Ebenen. Es scheint, daß zyklische Systeme dem Geist gemäßer sind. Wir bauen auch die Uhren rund, obwohl kein logischer Zwang dazu besteht. Auch Katastrophen werden als wiederkehrend angenommen, so Fluten und Verwüstung, Feuer und Eiszeiten. Das periodische Wachsen und Schwinden der weißen Kappen hat etwas Pulsierendes. Man hat den Eindruck, daß es noch einer kleinen Änderung bedürfte, und ein indisches Philosophem würde konzipiert.“ Ernst Jünger (1895–1998) deutscher Schriftsteller und Publizist Geschichte , Veränderung , Über Ehe , Über Menschen
„Von einer rationalen Behandlung der Tatsachen dürfen wir uns auf alle Fälle mehr versprechen als von der moralischen. Daß das Moralische sich von selbst verstehe, ist ein gutes Wort. Außerdem liegt das Moralische dichter an den Leidenschaften als die Vernunft. Der Mensch hat zu allen Zeiten ziemlich genau gewußt, was gut und was böse ist, aber durchaus nicht immer das Vernünftige erkannt. Das gilt vor allem dort, wo der Gang der Tatsachen schneller ist als ihre Erfassung und wo eine Überraschung die andere jagt. Wenn der Geist sie als unsinnig empfindet, bekennt er, daß er nicht Schritt gehalten, daß er die Herrschaft verloren hat. Das bedeutet nicht, daß die Tatsachen nicht auch ihr Ziel haben. Daher werden sie auch heute unterhalb der Konflikte, unterhalb der moralischen Erwägung und der Panik vom Menschen bejaht. Sie sind objektivierter Geist, und daher genießen sie mehr oder minder verborgene Sanktion.“ Ernst Jünger (1895–1998) deutscher Schriftsteller und Publizist Zeit , Über Menschen , Böse , Über Leidenschaft
„Von einer rationalen Behandlung der Tatsachen dürfen wir uns auf alle Fälle mehr versprechen als von der moralischen. Daß das Moralische sich von selbst verstehe, ist ein gutes Wort. Außerdem liegt das Moralische dichter an den Leidenschaften als die Vernunft. Der Mensch hat zu allen Zeiten ziemlich genau gewußt, was gut und was böse ist, aber durchaus nicht immer das Vernünftige erkannt. Das gilt vor allem dort, wo der Gang der Tatsachen schneller ist als ihre Erfassung und wo eine Überraschung die andere jagt. Wenn der Geist sie als unsinnig empfindet, bekennt er, daß er nicht Schritt gehalten, daß er die Herrschaftverloren hat. Es hat seine Logik, daß hier weder Mühen noch Milliarden gespart werden. Der Wettlauf wird auf größte Entfernungen und um geringsten Zeitgewinn geführt. Die Raumfahrt ist eines der Indizien dafür, daß der Arbeiter in den Herrenstand getreten ist. Sie gehört zu seinen Vergnügungen, wie früher Krieg und Architektur zu denen der Könige.“ Ernst Jünger (1895–1998) deutscher Schriftsteller und Publizist Zeit , Über Krieg , Über Menschen , Böse
„Eine der großen Anstrengungen der nachherodotischen, also der abendländischen Kultur im weiteren (nicht im Spenglerschen) Sinne besteht daher in der Wahrung ihrer geschichtlichen Struktur, sei es der des Staates, des Denkens oder der Person und ihres Freiheitsanspruchs, gegen den Angriff mythischer Mächte und ihrer Wiederkehr. Das, und nicht der Kampf zwischen Nationen und Wirtschaftsformen, gehört zur wesentlichen Erfassung des Abschnittes, der hinter uns liegt. Von Geschichtswahrung, von Geschichtsbewußtsein überhaupt in diesem Sinne, kann nur in ihm die Rede sein. Diese Geschichtswahrung ist das große Thema der abendländischen Kultur. Das unterscheidet sie von allen anderen.“ Ernst Jünger (1895–1998) deutscher Schriftsteller und Publizist Anstrengung , Sinn , Denken
„Sollte etwa der Einschnitt, der so offensichtlich unsere Jahre zeichnet, nicht nur zwei Epochen menschlicher Geschichte trennen, sondern zugleich sowohl den Ablauf als auch den Beginn eines größeren Zyklus ankünden? Das würde bedeuten, daß selbst zur Erfassung grober Fakten die Mittel der Geschichtsbetrachtung nicht ausreichen. Das würde bereits der Fall sein, wenn es sich um einen verhältnismäßig kleinen Zyklus, etwa von zehn- oder zwanzigtausend Jahren, handelte. Ein solcher Zyklus ist winzig, verglichen etwa mit einem indischen Götterjahr oder auch mit den Abläufen, die unsere Astronomie, Geologie oder Paläontologie berücksichtigen.“ Ernst Jünger (1895–1998) deutscher Schriftsteller und Publizist Geschichte
„Die Astrologie gibt das Muster einer Methodik, die das Leben mit größeren Abläufen verknüpft. Sie greift weit über die biologisch - historische Erfassung sowohl der Einzelnen als auch der Kulturen hinaus. Ihre Vorstellung, ihr Symbol, das Horoskop, ist zyklisch, und da es sich auf den größten und ältesten Umlauf bezieht, den wir kennen, genügt ihr eine einzige und unveränderliche Uhr zur Ablesung dessen, »was die Stunde geschlagen hat«. Dieser Zyklus setzt dem Astrologen zugleich die meßbare astronomische und die zu deutende Schicksalszeit. Logos und Nomos werden in Beziehung gesetzt, ja ausgetauscht, und schmelzen für den deutenden Blick ineinander ein.“ Ernst Jünger (1895–1998) deutscher Schriftsteller und Publizist Über Leben , Über Alter