„Wenn ein Kind lesen gelernt hat und gerne liest, entdeckt und erobert es eine zweite Welt, das Reich der Buchstaben. Das Land des Lesens ist ein geheimnisvoller, unendlicher Erdteil. Aus Druckerschwärze entstehen Dinge, Menschen, Geister und Götter, die man sonst nicht sehen könnte. Wer noch nicht lesen kann, sieht nur, was greifbar vor seiner Nase liegt oder steht (…) Wer lesen kann, sitzt über einem Buch und erblickt mit einem Male den Kilimandscharo oder Karl den Großen oder Huckleberry Finn im Gebüsch oder Zeus als Stier, und auf seinem Rücken reitet die schöne Europa. Wer lesen kann, hat ein zweites Paar Augen, und er muss nur aufpassen, dass er sich dabei das erste Paar nicht verdirbt.“ Erich Kästner buch Als ich ein kleiner Junge war Als ich ein kleiner Junge war Land , Über Gott , Über Kinder , Über Menschen
„Steinauge dachte eine Weile nach und sagte dann: "Ist das eine Schuld, wenn Böses aus dem erwächst, was man gut gemeint hat?""Nur gut meinen reicht nie aus", sagte der Zirbel, "solange man nicht daran denkt, was die Zeit aus dem machen könnte, was man in dieser guten Meinung tut.""Dann tut man am besten gar nichts mehr", sagte Steinauge erbittert. "Woher soll ich wissen, was daraus entstehen könnte, wenn ich einen abgenagten Kaninchenknochen hinter mich ins Gebüsch werfe? Es könnte ja einer kommen, ihn sich in den Fuß treten und an Blutvergiftung sterben. Man könnte nicht einmal den kleinen Finger krümmen, ohne in Schuld zu fallen. Steif und starr müsste man stehenbleiben und kein Glied mehr rühren.""Genau das habe ich ein Leben lang getan", sagte der Zirbel. "Aber ich sehe jetzt auch, dass dies für Menschen unmöglich ist. Ihr seid so geartet, dass ihr euch ständig mit irgend etwas beschäftigen müsst, statt die Zeit zu bedenken. Kein Wunder, dass ihr die Welt ständig durcheinanderbringt.“ Hans Bemmann (1922–2003) österreichischer Schriftsteller The Stone and the Flute Über Leben , Zeit , Über Menschen , Böse
„Gedanken, die früher stimmig waren, die zusammengehörten, waren plötzlich fehl am Platz, verunsichert, deprimiert, so wie die zotteligen Norwegerponys, die dieser russische Wissenschaftler in Sibirien auswildern wollte. Ich hatte davon gelesen. Er wollte mit viel Gras, der geeigneten Fauna und wenigen Menschen die Eiszeit nachstellen. Hätte er gewusst, was auf ihn zukam, hätte er sich bestimmt ein anderes Hobby gesucht. Die Hälfte der Ponys starb sofort, vermutlich am schlimmen Heimweh nach den skandinavischen Wäldern. Die andere Hälfte wurde vor der Forschungsstation mit Getreide gefüttert und starb trotzdem. So ähnlich geht es manchmal meinen Gedanken, wenn ich unter Stress stehe. Wenn etwas an mir nagt und sich nicht abschütteln lässt. Die meisten meiner Gedanken sind ganz gut, damit will ich sagen: Sie sind zielführend. Aber allzu oft scheinen sie deplatziert, irgendwie traurig, so als fragten sie sich, ob sie nicht vielleicht doch an einen Ort achttausend Kilometer von hier gehören, in einen kalten, mehrere Millionen Quadratkilometer großen, norwegischen Fichtenwald. Manchmal fürchte ich, meine Gedanken könnten durchgehen und im Gebüsch verschwinden.“ Peter Heller The Dog Stars Gras , Über Menschen