„Das Zentrum der geistigen Selbstdisziplin als solcher ist in Zersetzung begriffen. Die Tabus, die den geistigen Rang eines Menschen ausmachen, oftmals sedimentierte Erfahrungen und unartikulierte Erkenntnisse, richten sich stets gegen eigene Regungen, die er verdammen lernte, die aber so stark sind, daß nur eine fraglose und unbefragte Instanz ihnen Einhalt gebieten kann. Was fürs Triebleben gilt, gilt fürs geistige nicht minder: der Maler und Komponist, der diese und jene Farbenzusammenstellung oder Akkordverbindung als kitschig sich untersagt, der Schriftsteller, dem sprachliche Konfigurationen als banal oder pedantisch auf die Nerven gehen, reagiert so heftig gegen sie, weil in ihm selber Schichten sind, die es dorthin lockt. Die Absage ans herrschende Unwesen der Kultur setzt voraus, daß man an diesem selber genug teilhat, um es gleichsam in den eigenen Fingern zucken zu fühlen, daß man aber zugleich aus dieser Teilhabe Kräfte zog, sie zu kündigen. Diese Kräfte, die als solche des individuellen Widerstands in Erscheinung treten, sind darum doch keineswegs selber bloß individueller Art. Das intellektuelle Gewissen, in dem sie sich zusammenfassen, hat ein gesellschaftliches Moment so gut wie das moralische Überich. Es bildet sich an einer Vorstellung von der richtigen Gesellschaft und deren Bürgern. Läßt einmal diese Vorstellung nach—und wer könnte noch blind vertrauend ihr sich überlassen—, so verliert der intellektuelle Drang nach unten seine Hemmung, und aller Unrat, den die barbarische Kultur im Individuum zurückgelassen hat, Halbbildung, sich Gehenlassen, plumpe Vertraulichkeit, Ungeschliffenheit, kommt zum Vorschein. Meist rationalisiert es sich auch noch als Humanität, als den Willen, anderen Menschen sich verständlich zu machen, als welterfahrene Verantwortlichkeit. Aber das Opfer der intellektuellen Selbstdisziplin fällt dem, der es auf sich nimmt, viel zu leicht, als daß man ihm glauben dürfte, daß es eines ist.“ Theodor W. Adorno buch Minima Moralia Minima Moralia (1951) Über Glauben , Wille , Stark , Über Menschen
„Diese Selbstzersetzung der alten Gesellschaft kommt allerdings dem Bürger ebenso zugute wie später die Zersetzung der bürgerlichen Gesellschaft dem Arbeiter. Wenn man auch hierin eine Waffe erblicken will, so ist das zulässig nach dem Grundsatze, daß alles von Vorteil ist, was den Gegner zu schädigen vermag. Das angewandte Verfahren stößt freilich nicht aus der Zone der Zerstörung in die der Herrschaft hinaus. Die ihm zugrunde liegenden Prinzipien, etwa das der Gleichheit oder der Teilung, sind lediglich nivellierender Art; sie beziehen sich auf den gegebenen Gesellschaftsbestand.“ Ernst Jünger (1895–1998) deutscher Schriftsteller und Publizist Über Alter , Liegend